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Popmusik von A bis Z

Im Radio werden Pophits von Abba bis Zappa oft nur als buntes Potpourri präsentiert. Die Geschichten hinter den Songs kann man seit Kurzem in einem wissenschaftlichen Online-Liederlexikon nachlesen, herausgegeben vom Deutschen Volksliedarchiv in Freiburg.

Von David Siebert | 08.03.2012
    Soft Cell: "Tainted Love"

    Fernand Hörner: "Es gibt immer mal die Geschichte, dass ein Song bei einem Interpreten überhaupt nicht erfolgreich war und dann bei einem anderen Interpreten ein großer Erfolg wird. Beispielsweise: "Tainted Love" von Soft Cell, das war ein Soulsong, der relativ unbeachtet geblieben ist."

    "Tainted Love" stammt nämlich aus dem Jahre 1964 - geschrieben vom Songwriter Ed Cobb für die Soul-Sängerin Gloria Jones. Zum internationalen Hit wurde der Song dann als Synthie-Pop-Version erst siebzehn Jahre später. Solche Geschichten über Popmusik kann Dr. Fernand Hörner viele erzählen. Der Romanist und Musikwissenschaftler ist Mitarbeiter des Deutschen Volksliedarchivs. Spezialgebiet: populäre Musikkulturen.

    "Es gibt eine DFG-Förderung für herausragende Forschungsbibliotheken, im Rahmen dieser Förderung bauen wir jetzt ein Archiv für Popmusik auf , das ist aber wirklich erst in den Anfangstagen."

    Weiter vorangeschritten ist das Projekt Songlexikon: ein kostenloses Online-Archiv mit wissenschaftliche Analysen zu Songs, die als Meilensteine der populären Musik gelten. 50 Titel sind in dem Lexikon bereits dokumentiert - die Interpreten reichen von den Beatles über Judas Priest bis hin zu Udo Lindenberg oder auch zu:

    Comedian Harmonists: "Veronika der Lenz ist da"

    "Veronika der Lenz ist da" ist - chronologisch gesehen - der erste Eintrag im Songlexikon. Für Fernand Hörner ist der Schlager aus dem Jahre 1930 einer der frühesten Belege für das Phänomen Pop: Der Song wurde auf Platte aufgenommen und massenhaft verkauft - und jeder weiß eigentlich auch, dass er von den Comedian Harmonists stammt.

    "Das ist sicherlich ein zentraler Aspekt in der Popmusik, das ein Song untrennbar mit seinem Interpreten verbunden ist."

    Elvis Presley: "Hound Dog"

    "Hound Dog", der Riesenhit von Elvis Presley aus dem Jahr 1956, war zuvor schon von afroamerikanischen Rhythm&Blues-Bands eingespielt worden. Elvis Presleys Version ist allerdings eine weichgespülte Fassung: Die sexuellen Anspielungen des Originaltextes wurden darin getilgt. Mit solchen Informationen hebt sich das Songlexikon positiv von anderen Nachschlagewerken à la "Die 50 besten Pophits" ab.

    "Unseren Ansatz zeichnet halt auch aus, dass er sehr interdisziplinär ist, es ist nicht reine Musikwissenschaft, sondern es ist auch Kulturwissenschaft, Medienwissenschaft, Literaturwissenschaft, Sozialwissenschaft."

    Musik und Texte der Songs werden ebenso ausführlich untersucht wie auch das Image oder die Musikvideos, mit denen sich die Interpreten inszenieren. Dazu gibt es Hintergrundinformationen: von der Bandbesetzung über Aufnahmebedingungen und Produzenten bis hin zu Diskografien. Das Songlexikon will kein universelles Nachschlagewerk wie etwa Wikipedia sein. Stattdessen geht es darum, ausgewählte Songs, die besonders wichtig für ihr Genre sind, kulturwissenschaftlich einzuordnen.

    "Was macht diesen Song relevant? Sowohl in der Musikgeschichte, seinen Platz als auch in einem gesamtkulturellen gesellschaftlichen Kontext. Warum war dieser Song wichtig? Auf was nimmt er auch Bezug und inwiefern hat er die Ereignisse oder seine Zeit selbst beeinflusst?"

    Der aktuellste Artikel handelt von Madonnas "Hung Up" aus dem Jahre 2005. Nicht gerade der jüngste Chartbreaker, aber für Fernand Hörner ist er geradezu paradigmatisch:.

    Madonna: "Hung Up"

    "Das musikalische Material ist sehr überschaubar, das sind zwölf Takte von Abba, aber die Art und Weise wie das dann halt produziert wird, das ist schon eine Neuentwicklung. Die konsequente Vermarktung und auch das durchdesignten des Songs in allen seinen Bereichen - vom Performer zum Album zum Musikvideo zu den Auftritten - die dann auch dafür sorgen, dass der Song einer der am meisten heruntergeladenen Songs der Musikgeschichte ist."

    Ob Reggae, französischer Hip-Hop oder Mestizo-Rock aus Mexiko - das Online-Songlexikon widmet sich verschiedensten Spielarten des Pop, nicht nur dem britisch-amerikanischen Mainstream. Und es ist als ist als Work in Progress angelegt - mehr als 150 weitere Songanalysen sind bereits in Arbeit.

    "Es ist natürlich klar, dass man flächendeckend jetzt nicht sagen kann, ich kann die ganze Popmusik abbilden. Man wird, selbst wenn man sagt, man nimmt nur die in irgendeiner Weise relevanten Songs, wahrscheinlich nie dazu kommen wirklich alle wichtigen Songs abzuarbeiten."